Herbstferien – Autobahnraststätte Thusis – es gibt Hirschpfeffer mit Spätzli, der Hirsch sei aus der Region und schmeckt prima -überhaupt ist diese Raststätte zu empfehlen, nebenbei gesagt. Ich erinnere mich an eine Nacht vor 3 Tagen, Camping Plauns bei Pontresina, ich wache auf, es ist stockdunkel und ich höre den seltsam repetierten Laut eines Tieres.
Zunächst überlege ich, wo wir Rindviecher gesehen haben, und ob ich nun aufstehen muss, um den veterinären Emergency Room zu kontaktieren, schlafe aber wieder ein. Am Morgen erklärt mir der Nachbar, das sei ein Hirsch gewesen. Habe ich so echt noch nie gehört, da es zwar interessant bis beängstigend klingende Stadtfüchse gibt, aber keine Stadthirsche. Ist wohl auch besser so. Und warum röhrt der Hirsch im Herbst und nicht im Frühling, wie sich das gemäß meiner romantisch gefärbten Städter- Ahnungslosigkeit gehörte? Ganz einfach, weil sonst die neugeborenen Kälber das Wetter im Januar nicht so gemütlich fänden. Wikipedia hat es mir erklärt!
Also gut, habe ich nicht die Rega bestellt und das Hirschen-Stelldichein gestört!
Da kommt mir ein Vortrag an einem Stimmsymposium vor ein paar Jahren in den Sinn. Es ging auch um Hirsche – und damit um die Frage, welchen Sinn die Stimme für die Evolution hat.
Sie ermöglicht Kommunikation, die fürs Überleben günstig ist. Es gibt eine Reihe von interessanten Papers zu diesem Thema von Reby, McComb et al. und Fitch (um nur die wichtigsten Namen zu nennen, vgl Literaturangabe). Die haben über Jahrzehnte mit Tieren und Tierlauten geforscht. Es geht um die wichtige Rolle, die die Stimme für die soziale Wiedererkennung spielt. Also: Ich bin! Auch ohne das humane „cogito ergo“ davor. Ich befinde mich an dieser Stelle in der Landschaft.! Und ich bin ich!
Solche Informationen spielen eine Rolle zum Beispiel bei der Beziehung zwischen Eltern und Kind, letztere sind nämlich fähig, ihren Nachwuchs an der Stimme zu erkennen, aber auch bei der Partnerwahl oder bei territorialen Auseinandersetzungen. Hirschkühe begeistern sich zum Beispiel eindeutig mehr für die Laute von größeren Hirschen. Und sie verhalten sich vorsichtiger, wenn sie am Stimmklang ein jüngeres Individuum erkennen, möglicherweise weil sie den Kontakt mit diesen lästigen, halbstarken Rowdys zu vermeiden suchen.
Es konnte auch gezeigt werden, dass eine Korrelation zwischen der Röhrrate (die Zahl von Einzellauten in eine Serie) und dem Erfolg in der Fortpflanzung oder im Kampf besteht.
Röhren muss sehr anstrengend sein. Ein Hirsch, der das ausdauernder kann, schreckt Rivalen besser ab und kommt bei den Damen besser an. Er stellt mit seinem Gebrüll effektiv körperliche Überlegenheit unter Beweis. Ein tieferer Sinn der Stimme (zumindest bei Hirschen) liegt womöglich darin, dass Kämpfe, hauptsächlich um Rang, Frauen und Ländereien, auch akustisch ausgetragen werden können, was deutlich weniger Tote gibt. Und die Weibchen können schon akustisch gute Gene für ihren zukünftigen Nachwuchs erkennen. All dies dient der Arterhaltung.
Vieles von dem oben erwähnten, hat auch für den Menschen eine gewisse Bedeutung. Ich bin aber froh, dass wir an der Raststätte in Thusis weder lautstark einen Parkplatz ergattern noch einen Tisch verteidigen mussten, es verlief von sich aus alles friedlich, Herbstferien eben.
Charlton B., Reby, D. & McComb, K. (2007). Female red deer prefer the roars of larger males. Biology Letters. 3, 382-385.
Reby D., McComb K., Cargnelutti B., Darwin C, Fitch W.T. & Clutton-Brock T.H. (2005). Red deer stags use formants as assessment cues during intrasexual agonistic interactions. Proceedings of the Royal Society, London, 272, 941-947.
Reby D., Cargnelutti B., Joachim J. & S. Aulagnier (1999). Spectral acoustic structure of barking in roe deer : sex-, age-, and individual related variations. Comptes Rendus de l’Académie des Sciences, (life sciences), 322, 271-279.
McComb, K.E. (1991) Female choice for high roaring rates in red deer (Cervus elaphus). Animal Behaviour 41, 79-88.